Streng ist die Form, makellos die glatte Oberfläche der zweiteiligen Keramik. Eine limitierte Serie von sieben Gefässen entstand während des Aufenthalts der Keramikerin als «Artist in Residence» 2005 im Shigaraki Ceramic Cultural Park in Japan.
Die Serie erweist mit ihren japanischen Blütennamen wie Sakura (Kirschblüte) oder Kiku (Chrysantheme) den klassischen Dekoren des ostasiatischen Kunsthandwerks ihre Reverenz. Bis zu drei Monate dauert der technisch aufwändige Prozess des Lackauftrags, den Margareta Daepp bei einer Urushi-Meisterin erlernt hat. Traditionell wird der stark allergieauslösende Saft des Lacksumach (rhus vernicifera), des sogenannten Lackbaums, zur Herstellung von Lackarbeiten verwendet. Die sehr hohe Qualität synthetischen Lacks hat die Künstlerin – in Absprache mit ihrer Urushi-Meisterin – dazu bewogen, auf den Urushi-Lack zu verzichten.
Strahlendes Rot und tiefes Schwarz sind die traditionellen Farben der ostasiatischen Lackkunst. Während in Japan Lack zunächst als Schutz und später als Veredelung üblicherweise auf Holz, Gewebe, Leder oder Papier aufgetragen wird, bedeckt er bei der Lotus-Serie die Keramik. Die Künstlerin folgte dabei einer archäologischen Sensation: Erstmals wurden auf einer Tonscherbe Lackspuren entdeckt. Es wird vermutet, dass der Lack die Aufgabe einer Schutzschicht zum Abdichten eines porösen Scherbens übernahm.
Gebrannt ist die gesamte Serie im schlichten Grubenofen (Anagama), wie er für die Tonwaren aus dieser Region charakteristisch ist. Die lebendige Oberfläche ist das Ergebnis des feldspathaltigen Tons, dessen körnige Struktur mit weissen Quarzeinschlüssen versetzt ist. Durch die Pinienholzbefeuerung des Ofens und den direkten Ascheanflug erhält die Keramik ihre typische Farbigkeit.
Die Quarzeinschlüsse verteilen sich im Brand zufällig und kristallisieren zu weissen, erhabenen Sternen auf dem Scherben. Es ist die raue und derbe Oberflächenstruktur, die zufälligen Farbvariationen, die wie das Bild des lodernden Feuers auf dem Scherben eingebrannt erscheinen und der Keramik aus Shigaraki ihren einzigartigen Reiz verleihen.
Mit dem spiegelnden Lack auf der einen und der körnigen Oberfläche auf der anderen Seite potenziert sich das sinnliche Erlebnis der Keramik. Im Zylinder, entstanden durch das Zusammenfügen gleichwertiger, aber nicht gleichartiger Gefässteile, vereinigt sich der Dualismus der ungleichen Oberflächen zu einer vollendeten Form. Erst mit der für Shigaraki-Töpferware untypischen Verwendung einer Gussform, die aber kennzeichnend für die europäische Keramiktradition ist, kann eine derart exakte Form realisiert werden. In der Gegenüberstellung von lackierter und gebrannter Oberfläche in einer gegossenen Form hat die Künstlerin ihre eigene, westliche Neuinterpretation altjapanischer Töpferkunst geschaffen.
Susanne Schneemann